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Transgenerationales Trauma: Wird Leid vererbt?

Aktualisiert: 27. Jan.

Von einem transgenerationalen Trauma spricht man, wenn ein Trauma, das eine Person einer Generation erlebt hat, an die nachfolgende Generation oder sogar an mehrere Generationen weitergegeben wird. Aber geht das denn überhaupt? Wieso soll jemand, der ein traumatisches Ereignis nicht erlebt oder miterlebt hat oder womöglich sogar noch nicht einmal etwas davon weiß, unter diesem Trauma leiden? Dazu muss man wissen, wie es sich mit dem "Leiden unter einem Trauma" überhaupt verhält.



Was sind Traumafolgestörungen?


Ein Trauma ist ein heftiges Ereignis, dass den Menschen in dem Moment, in dem er es erlebt, psychisch (und gegebenenfalls auch körperlich) massiv überfordert. So sehr überfordert, dass erlernte Bewältigungsmechanismen nicht angewendet werden können. Das können beispielsweise schwere Naturkatastrophen, Kriegserlebnisse, sexuelle oder körperliche Gewalt, aber auch das Miterleben von an anderen Menschen ausgeübten Gewalttaten sein. Durch dieses Trauma gerät der Mensch in eine Situation der absoluten Machtlosigkeit und Ohnmacht. Dieses Erleben alleine ist noch keine Traumatisierung, denn je nach Konstitution und vorherigem Erleben des Menschen kann, aber muss nicht eine Traumafolgestörung entstehen.


Wie der Name schon sagt, geht es bei einer Traumafolgestörung um das, was nach einem Trauma folgt beziehungsweise eben folgen kann. Wenn das Trauma auch später nicht verarbeitet werden kann,


können einen sogenannte Flashbacks überfluten, man könnte erhöht schreckhaft sein, Konzentrationsprobleme haben, immer im Alarmmodus sein, übermäßig reizbar sein und/oder unter Depressionen, Angststörungen, Schlafstörungen, Beziehungsstörungen, Süchten, Zwängen, Essstörungen, sexuellen Störungen, Nähe-Distanz-Konflikten, Persönlichkeitsstörungen (bei sehr frühen Traumatisierungen) usw. leiden.


Das Bild einer Traumafolgestörung ist also sehr weit gefasst.


zusammen  gekauerte Skulptur aus Stein auf einem Sockel

Und was ist ein transgenerationales Trauma konkret?


Wenn eine Person unter manchen der oben genannten Problemen leidet und/oder unter

unverhältnismäßigen Ängsten oder Scham- und Schuldgefühlen, extremem Sicherheitsbedürfnis, großer Angst vor Fehlern bis hin zur Entscheidungsunfähigkeit, Gefühl, sich selbst fremd zu sein, Gefühl, nirgendwo hin zu gehören, Angst, unangenehm aufzufallen, übergroße Verantwortungsübernahme oder Ablehnung derselben, Bindungsschwierigkeiten, übergroßer Gereiztheit, überwältigenden Emotionen oder Emotionslosigkeit

und keine konkrete Ursache im eigenen Leben findet, könnte es sich um ein transgenerationales Trauma handeln. Um das herauszufinden, muss man sich die Geschichte des Menschen sowie der Eltern und Großeltern anschauen.


Machen wir mal ein Beispiel: Christina ist 42 Jahre alt, seit 10 Jahren verheiratet, hat zwei Kinder und ist Krankenschwester von Beruf. Für Christina fühlt sich das Leben schwer und belastend an. Sie hat das Gefühl, nie Zeit zu haben und sich zerteilen zu müssen. In der Klinik springt sie häufig für andere ein, die krank sind oder ihren Urlaub brauchen. Für die Kinder und das Meiste im Haushalt ist sie zuständig. Nachts kann sie nur wenig schlafen. Die Kinder erlebt sie als sehr fordernd und ihre allein lebende Mutter beschwert sich auch andauernd, dass sie sie viel zu wenig besuchen würde. Christina stellt sich häufig zurück und hat große Probleme damit, ihre Bedürfnisse zu äußern. Aber ab und zu platzt ihr der Kragen und sie schreit die Kinder an, wofür sie sich dann schämt. Ihre Freundin rät ihr, doch auch mal den Mann zum Elternabend gehen zu lassen und die Mutter müsse sie ja auch nicht jede Woche zweimal sehen. Aber das kann Christina nicht. Christina hat ein starkes Kontrollbedürfnis und vertraut schwer, sie erwartet viel von sich und anderen, überfordert sich häufig und leidet unter Schlafstörungen und Depressionen. Schauen wir uns die Geschichte ihrer Vorfahren an: Christinas Großmutter Gertrude war Jahrgang 1927. Sie kam aus dem ehemals deutschen Danzig, heute Polen, und wurde 1945 mit 18 Jahren zusammen mit ihrer Mutter und den kleineren Geschwistern vertrieben. Auf der Flucht wurde sie mehrfach vergewaltigt. Ihr kleiner Bruder starb unterwegs. Das alles hatte sie nie richtig verarbeitet. Immer schwebte eine dunkle, schwere Wolke über ihr und sie wirkte oft abwesend. Mit Gefühlen konnte sie nicht gut umgehen. Zu den eigenen Kindern, die sie später hatte, war sie kalt und abweisend. Sie versorgte sie nur und erwartete, dass sie "funktionieren" und keine Probleme bereiten. Christinas Mutter Monika, Jahrgang 1955, hatte nie ein gutes Verhältnis zur eigenen Mutter. Sie empfand sie als herzlos und warf Gertrude vor, dass sie nie ein gutes Wort für sie übrig hatte. Im späteren Leben erwartet Monika von ihrem Mann wie auch von ihrer Tochter emotionale Versorgung. Sie betrachtet Christina mehr als Freundin als als Tochter und berichtet ihr von allen Problemen, die sie hat. Auch als ihre Ehe auseinanderbricht, wertet sie den Vater der Tochter gegenüber massiv ab und erwartet, dass Christina sich auf ihre Seite schlägt. Auch Monika hat Depressionen und steht tagelang nicht auf.

Wenn man sich diese drei Frauen genauer anschaut, stellt man fest, dass sie zwar sehr unterschiedlich sind, es aber auch generationsübergreifende Ähnlichkeiten in der Problematik gibt.


Depressionen, das Erleben eigener Gefühle als überwältigend oder bedrohlich, leichte Reizbarkeit oder unterdrückte Wut, keine adäquate Verantwortungsübernahme anderen und sich selbst gegenüber, Nähe-Distanz-Konflikte, starkes Kontrollbedürfnis, Schlafstörungen, Beziehungsprobleme und ein Gefühl der Wertlosigkeit ist bei allen zu finden.


Prinzip des transgenerationalen Traumas


Wieso wird ein Trauma an die nächste Generation weitergegeben?


Wissenschaftlich betrachtet spielt die recht junge Epigenetik hier eine große Rolle. Epigenetik ist eine Wissenschaft und untersucht unter anderem den Einfluss von äußeren Bedingungen auf das Erbgut. Der Chemiker, Mediziner, Depressionsforscher und ehemalige Direktor des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie in München Florian Holsboer sagte in Bezug auf die epigenetischen Markierungen: „Traumata sorgen nicht nur für Narben in der Seele, sondern auch für Narben im Erbgut.“ Das fand er heraus, als er zusammen mit der Traumaforscherin Rachel Yehuda vom Mount Sinai Medical Center in New York eine Studie nach den Anschlägen auf das World Trade Center am 11. September 2001 durchführte. Man fand auch heraus, dass die sogenannte "epigenetische Signatur" an nachfolgende Generationen weitergegeben wird. "Zurzeit können diese Merkmale bis zur dritten Generation nachverfolgt werden", berichtet Alon Chen, ebenfalls vom Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München. Wie genau das funktioniert, weiß man aber noch nicht.


Psychologisch bzw. psychosozial betrachtet können Traumata durch das Verhalten der traumatisierten Eltern direkt weitergegeben werden. Glaubenssätze, Wertvorstellungen, Umgang mit Gefühlen, elterliche Warnungen, Existenzängste, usw. prägen die Kinder. Diese sind beeinflusst von Erfahrungen, auch Traumata.


Indirekt werden Traumafolgen ebenfalls weiter gegeben. Wenn beispielsweise, wie im oben ausgeführten Fallbeispiel die Mutter aufgrund einer posttraumatischen Belastungsstörung von ihren Gefühlen abgeschnitten ist, wird sie auch nur wenig emotionale Wärme für ihr Kind aufbringen können. Dieser Mangel an Liebe und Geborgenheit kann zu einer Störung der Bindungsfähigkeit, Beziehungsproblemen, geringem Selbstwert, Depressionen, Sucht, usw. des Kindes führen und auf die gleiche Art und Weise die Enkelgeneration beeinflussen.


Dies ist besonders der Fall, wenn das Trauma nie bearbeitet und verarbeitet wurde, also unbewusst geblieben ist.



Transgenerationale Traumata auflösen


Wenn Christina zu mir in die Therapie kommen würde, würden wir uns auf jeden Fall anschauen, welche Geschichte ihre Eltern und gegebenenfalls auch ihre Großeltern haben, um zu verstehen, woher ihre Symptomatik stammt. Und dann geht es letztendlich um Bewusstseinsarbeit. Das Trauma selbst kann natürlich nicht bearbeitet werden, da es nicht ihres ist, aber wir können uns um die Auswirkungen des Traumas kümmern. Christinas weiterer Lebensweg kann ein anderer werden, wenn sie anfängt, sich um ihr eigenes "Inneres, verletztes Kind" zu kümmern und sich selbst eine liebevolle Mutter zu sein. Dadurch würde Christinas Selbstverantwortung gestärkt und es könnte gefühlte Verantwortung für die Mutter (und Kollegen, Ehemann, usw.) abgebaut werden. Wenn sie anfängt, ihre eigenen Werte zu entdecken und zu leben, würde sich die Gereiztheit verringern und in Folge auch Scham- und Schuldgefühle sowie die Depression.

Im "grauen Haus am Meer" biete ich das Konzept "Urlaub und Therapie" an, wo ich zum Beispiel innerhalb einer Woche Aufenthalt individuell auf solche Themen eingehen kann. Aber auch kleine Gruppen-Seminare wie "Wie geht eigentlich Beziehung?", "Innere Kritiker und Saboteure", "Selbstwert statt Selbstabwertung" sowie das neu in 2024 entstehende Seminar zu "Scham und Schuld" sind hilfreich.

Kunsttherapie Frau in einem Café


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