Innere Anteile: Warum sie dich lenken – und wie du Frieden mit ihnen schließt
- Vera Arnold
- 7. März
- 9 Min. Lesezeit
Aktualisiert: vor 7 Tagen
Das kennst du sicher auch: Manchmal bist du entschlossen, manchmal voller Zweifel. Mal streng mit dir, mal liebevoll. Woher kommt das – und ist das „normal“?
Diese verschiedenen Sichtweisen oder inneren Haltungen nennt man in der Psychologie „Innere Anteile“. Jeder Anteil hat seine eigene Meinung, seine Ängste und Bedürfnisse – geprägt durch deine Kindheitserfahrungen.
In diesem Artikel erfährst du, welche Inneren Anteile es gibt, warum sie manchmal in Konflikt geraten – und wie du Frieden mit ihnen schließt, um mehr Ausgeglichenheit und Selbstakzeptanz zu finden.
INHALTSVERZEICHNIS:
"Die Hose ist wirklich schön und total bequem. Ich glaub, ich kauf sie." - "Aber sie ist auch ganz schön teuer und diesen Monat muss ich eh schon viel Geld ausgeben. Ich kauf sie besser nicht."
Kennst du dieses Hin und her? Erst bist du überzeugt, dann kommen Zweifel – und plötzlich steckst du mitten in einer Endlos-Diskussion mit dir selbst.
Genau das sind Innere Anteile. Zwei davon.

Innere Anteile: Was sie sind und warum du sie hast
Du bist nicht nur eine einzige, starre Persönlichkeit – sondern bestehst aus vielen verschiedenen Aspekten, Meinungen, Haltungen. In verschiedenen Theorien über das Wesen unserer Persönlichkeit wird versucht, diese Facetten zu verstehen und greifbarer zu machen.
Der Kommunikationspsychologe Schulz von Thun spricht vom "Inneren Team". Systemische Theorien nennen es "innere Familie", "innere Konferenz" oder "inneres Parlament". Die amerikanische Familientherapeutin Virginia Satir bezeichnete das Zusammenspiel der inneren Aspekte als "Parts Party": als Party der Inneren Teile.

Ich spreche gerne ganz einfach von den "Inneren Anteilen". Die sind wie Figuren in einem Theaterstück oder Mitglieder eines Teams. Manche sind laut und präsent, andere leiser und selten im Vordergrund. Mir fällt dazu oft das Glockenspiel im Turm des neuen Rathauses in München ein: viele verschiedene Figuren, die wie unsere Inneren Anteile abwechselnd nach vorne treten und sich zeigen, um dann wieder nach hinten zu verschwinden.
Diese Anteile haben sich im Laufe deines Lebens gebildet, oft als Reaktion auf bestimmte Erfahrungen. Und erstmal ist das auch gut so.
Bei unserem Beispiel mit der Hose ist es natürlich sinnvoll, abzuwägen, ob die Schönheit oder der Preis kaufentscheidend sein soll. Nichts davon ist eigentlich wichtiger als das andere. Vor dem Hintergrund beispielsweise eines leeren Bankkontos würde sich das aber ändern. Innere Anteile sind also wichtig, um gute, zum Leben passende Entscheidungen zu treffen.
Ein Anteil übernimmt in bestimmten Momenten das Steuer. Mal ist es der vorsichtige Teil, der dich schützen will, mal der mutige, der dich herausfordert. Mal der Perfektionist, der alles richtig machen möchte, mal der lockere Genießer, der es nicht so eng sieht.
Solange das Zusammenspiel der Teile funktioniert, sind flexible, auf Situationen angepasste Entscheidungen möglich. Aber dieses Zusammenspiel ist sehr fein. Durch bestimmte Erlebnisse in der Kindheit (z.B. Traumata) kann Sand ins Getriebe gekommen sein und die Rädchen greifen nicht mehr ineinander. Dann kann es passieren, dass manche Anteile sehr radikal behindern oder andere kaum noch zu Wort kommen. Statt innerer Flexibilität entsteht ein Gefühl von Feststecken.
Was passiert, wenn Innere Anteile streiten?
Lass mich dir ein Beispiel erzählen:
Johanna ist 34 Jahre alt. Sie arbeitet als Betriebswirtin und steht ständig unter Druck. Termine, Termine, Termine - und bloß keine Fehler machen. Ihre Gedanken kreisen fast nur um Pflichten und Verantwortung. Ihre Eltern waren in ihrer Kindheit sehr streng. Der Vater erwartete hervorragende Leistungen in der Schule. Eine 3 quittierte er mit einer Standpauke und Stubenarrest. Die Mutter war emotional ebenso kalt und nur mit ihrem Bridge-Club beschäftigt. Johanna bekam schon Bauchweh, wenn sie ihren Vater nur reden hörte. Sie versuchte, "unsichtbar" zu sein. Ihr Plüschhase war ihr bester Freund, dem sie alles erzählen konnte. In der Pubertät fing sie heimlich an, zu rauchen und Drogen zu nehmen. "Ihr könnt mich mal. Von euch lass ich mir nichts mehr sagen", war ihr Motto. Erst als sie ihren Freund traf, hörte sie mit den Drogen auf und machte Karriere: "Mein Vater wird schon noch sehen, was in mir steckt". Der Freund stellte sich später als sehr kontrollierend heraus. Aber Johanna ist bei ihm geblieben und erträgt es.
Was ist in Johanna passiert?
Die emotionale Härte und Kälte der Eltern haben bewirkt, dass sie als Kind lernte, sich anzupassen. Je besser, desto weniger Probleme hatte sie. Das Unterordnen wurde zu einem festsitzenden Muster. Das "verletzte innere Kind" entstand.
Das Bestreben, unsichtbar zu sein, ist immer noch da. Nur heute braucht es keinen strengen Vater mehr, damit sie funktioniert. Dieses Verhalten hat sich "internalisiert". Denn die Stimme des Vaters wirkt noch immer in ihr - als Antreiber oder "Innerer Kritiker": "Jeder intelligente Mensch hat die Pflicht, seine Fähigkeiten zu nutzen" oder "Eine 80-Stunden-Woche gehört zu meinem Job dazu. Dafür kann ich mir auch das 5-Sterne-Hotel leisten".
Und was wurde aus dem "rebellischen Inneren Anteil" aus ihrer Jugendzeit? Dem wurden die Zähne gezogen. Er lehnt sich jetzt nicht mehr auf, sondern tut nur noch so. Eigentlich hilft er dem Inneren Kritiker, indem er dafür sorgt, dass sie Tag und Nacht arbeitet.
Der Freund ist an die Stelle des Vaters getreten. Das kennt sie schon. Und von der Mutter hat sie gelernt, dass sie wohl sowieso nicht liebenswert ist.
Die folgende Grafik illustriert die erwähnten Inneren Anteile:

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Innere Anteile im Überblick: Vom strengen Kritiker bis zur liebevollen Mutter
In Johannas Geschichte haben wir gesehen, wie verschiedene Innere Anteile ihr Denken, Fühlen und Handeln beeinflussen. Beleuchtet haben wir bisher die Anteile, die das Feststecken verkörpern.
Doch es gibt noch weitere Innere Anteile, die in jedem Menschen vorhanden sind. Einige davon können helfen, alte Muster zu durchbrechen und wieder mehr innere Balance zu finden.
Im Folgenden werfen wir einen genaueren Blick auf diese Anteile: diejenigen, die aus Überlebensstrategien entstanden sind, und diejenigen, die den Weg zur Heilung ebnen können.
1) Aus Überlebensstrategien entstandene Anteile
Das verletzte Innere Kind: "Ich muss gehorchen!"
leidet unter Erlebnissen der Kindheit wie emotional nicht erreichbare Eltern, zu hohe Erwartungen und Abwertungen, Tod von Familienmitgliedern, traumatischen Erlebnissen, usw.
hat versucht, die Familie so gut wie möglich stabil zu halten (Eltern sollen sich keine Sorgen machen, nicht wütend werden, o.ä.). Daher passt es sich an und handelt wie gewünscht, um ein unterstützendes "Nest" zu haben. LESETIPP: Wenn du mehr über das verletzte Innere Kind erfahren möchtest, lese meinen Artikel "Dein Inneres Kind heilen: In 5 Schritten zu mehr Selbstwert und einem erfüllenden Leben"
Der Innere Kritiker: "Du bist falsch!"
sorgt mit drastischen Maßnahmen dafür, dass das verletzte Kind funktioniert
Grund dafür: Fürsorge, denn wenn das Kind sich anpasst, bekommt es so viel Zuneigung wie irgendwie möglich
hat sich relativ zeitgleich mit dem verletzten inneren Kind gebildet
LESETIPP: Mehr über den Inneren Kritiker, warum er zu so heftigen Maßnahmen greift und wie du das verändern kannst in meinem Artikel: "5 Schritte, wie du dauerhaft mit dem Inneren Kritiker Frieden schließen kannst" (in Bearbeitung)
Die rebellische Innere Jugendliche: "Ich bin sauer auf alles!"
hat keinen Bock mehr auf das Angepasstsein
Wut als Abgrenzung gegenüber den Eltern, Lehrern, usw.
bleibt aber in der Wut stecken und richtet sie letztlich gegen sich selbst oder andere, um ebenso das "Nest" zu erhalten.
Die Innere Erwachsene: "Ich funktioniere"
lebt immer noch die selben Prinzipien wie das verletzte Kind: sich unterordnen. Nur kann man jetzt nicht mehr grundsätzlich den Verursacher der Angepasstheit erkennen.
hat keinen Bezug zum inneren verletzten Kind
das bedeutet: "Ich spüre mich nicht"
2) Wie hilfreiche Anteile deine Heilung fördern
Die drei im Folgenden beschriebenen Anteile stehen meist im Hintergrund, wenn du noch sehr in deinen alten Mustern festhängst. Aber es ist so, wie es auch in einer richtigen Familie wäre: erst, wenn alle Familienmitglieder anerkannt werden, herrscht Frieden.

Die Innere Beobachterin: "Ich nehme wahr"
sieht alles mit Abstand: wohlwollend und analysierend statt emotional verstrickt
erkennt die Zusammenhänge und weiß die Lösung
Die Innere Mutter: "Ich kümmere mich"
wendet sich liebevoll dem verletzten Kind zu statt dem Kritiker gehorchen zu wollen
tröstet und heilt, indem sie das Kind in seinem Schmerz wahrnimmt und ihm ein sicheres Gefühl gibt.
Das heile Innere Kind: "Ich darf einfach sein"
irgendwo gibt es immer auch einen unverletzten Anteil, der sich eine heile Welt in der Kindheit erschaffen hat - mit einem Plüschhasen, an einem geheimen Ort in der Natur, in Büchern und Geschichten, usw.
dieser Anteil ist sehr wichtig, um eine traumatisierte Kindheit psychisch überleben zu können
Damit das Ganze greifbarer wird, schauen wir uns Johannas Geschichte noch einmal an und sehen, wie sich diese drei Anteile in ihrem Leben zeigen.
Eines Tages denkt Johanna: "Ich bin völlig erschöpft. Meine Gedanken stehen überhaupt nicht mehr still. Ich kann nicht mehr schlafen und bin unsagbar traurig. So kann es nicht mehr weitergehen." (Innere Beobachterin) Sie beschließt, eine Therapie zu machen. Dort lernt sie, wieviel Einfluss ihre Kindheit noch immer auf ihr Leben hat. Sie erfährt, dass es ihr besser geht, wenn sie nicht ständig über ihre Kräfte lebt - sondern wahrnimmt, wie sie sich fühlt. Und ihre Gefühle achtet: die traurigen und die fröhlichen (Innere Mutter). Seither macht sie auch manchmal Dinge, die ihrem Alter oder ihrem Job so gar nicht entsprechen - ganz spontan und mit viel Freude (Inneres heiles Kind).
Das Beispiel habe ich bewusst nicht so enden lassen, dass sie ihren Job kündigt oder den Freund verlässt. Vielleicht wäre das so - oder sie trifft eine ganz andere Entscheidung. Das, was viel wichtiger ist, ist, dass sie anfängt, sich zu spüren.
Sie nimmt ihre Gefühle ernst und hört auf, sich selbst zu übergehen. Sie erkennt, dass es nicht darum geht, immer „funktionieren“ zu müssen. Stattdessen beginnt sie, sich selbst mit mehr Mitgefühl zu begegnen. Sie erlaubt sich, auch mal „nicht perfekt“ zu sein und dem Spielerischen in ihr Raum zu geben.
Für Johanna, genauso wie für dich, ist Heilung ein fortlaufender Prozess. In diesem Prozess wird der Innere Kritiker, der so lange über sie und ihre Entscheidungen gewacht hat, immer weniger laut – und das verletzte Innere Kind darf heilen.
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Fragen, die viele zu den "Inneren Anteilen" haben
Was sind „Innere Anteile“ eigentlich genau?
Innere Anteile sind verschiedene Persönlichkeitsaspekte in dir – mit eigenen Meinungen, Gefühlen und Bedürfnissen. Sie entstehen durch Erfahrungen, vor allem in deiner Kindheit. Manche zeigen deine Verletzlichkeit oder Lebensfreude, andere wollen dich beschützen und wieder andere dir zeigen, wie liebenswert du bist. Gemeinsam bilden sie deine „Innere Familie“.
Ist es normal, dass sich meine Inneren Anteile widersprechen?
Ja, absolut. Wenn du das Gefühl hast, mit dir selbst zu diskutieren, sind oft mehrere Anteile aktiv – z. B. der Kritiker und das Innere Kind. Schwierig wird es nur, wenn ein Anteil zu laut wird und andere übertönt.
Woher kommen diese Anteile – und können sie sich verändern?
Viele Anteile entstehen in deiner Kindheit – als Reaktion auf das, was du erlebt hast. Manche sind Schutzmechanismen (Rückzug, Rebellion, etc.), andere Ausdruck von Stärke, Weisheit und Warmherzigkeit. Und ja: Sie können sich verändern, vor allem, wenn du ihnen zuhörst, sie verstehst und neu in Beziehung mit ihnen trittst.
Wie erkenne ich, welcher Anteil gerade aktiv ist?
Es gibt einige Innere Anteile. Die wichtigsten sind das Innere verletzte Kind, der Kritiker, der Beobachter und die Innere Mutter (oder Vater).
Sie verhalten sich so, wie sie heißen: das Innere verletzte Kind zieht sich aus Verletztheit zurück oder ordnet sich unter. Der Kritiker kritisiert, und das heftig. Der Beobachter nimmt Geschehnisse, Gefühle und Gedanken aus einem Abstand heraus wahr. Und die Innere Mutter verhält sich liebevoll, beschützend und unterstützend.
Wenn du also merkst, dass du dich gerade fügst oder dich gekränkt fühlst, ist das Innere Kind aktiv. Wenn du gerade kein gutes Haar an dir, deinen Handlungen, Meinungen, Entscheidungen lässt, ist der Kritiker aktiv, usw.
Gibt es „gute“ und „schlechte“ Innere Anteile?
Nein. Jeder Anteil verfolgt – aus seiner Sicht – ein sinnvolles Ziel. Auch der Innere Kritiker wollte früher und will noch immer schützen. Er verhält sich heftig, weil es in der Kindheit notwendig war, dafür zu sorgen, dass du funktionierst. Heute ist das aber nicht mehr notwendig und du kannst es ändern.
Was ist die "Arbeit mit Inneren Anteilen"?
Bei der Arbeit mit Inneren Anteilen geht es darum, alte Muster wie Anpassung oder andauerndes Sich-selbst-kritisieren verändern zu können – und zu einem inneren Frieden zu finden.
Indem du die verschiedenen Anteile – wie das verletzte Innere Kind, den Inneren Kritiker und die rebellische Innere Jugendliche – erkennst und annimmst, kannst du diese alten, schmerzhaften Muster durchbrechen. Gleichzeitig ermöglichen dir heilende Anteile wie die Innere Beobachterin, die Innere Mutter und das heile Innere Kind, dir mit Mitgefühl zu begegnen und dein Leben zu verbessern.
Bild 1 von BruNo auf pixabay
Bild 2 von flyupmike auf pixabay

Vera Arnold
Vor fast 20 Jahren begegnete mir ein Satz auf einem Plakat in einer vollen Berliner U-Bahn: "Ein Tag ohne Lächeln ist ein verlorener Tag" (Charlie Chaplin).
Der begleitet mich seither und ist ein Grund, warum ich Traumatherapeutin geworden bin.
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